Beim Aussortieren von gemalten Kinderbildern
Jedes zweite tut mir weh. Aber ist es nicht wie mit den ersten Lauten? Wie süß klingen sie in unseren Ohren, wie peinlich in ihren, denen der später Erwachsenen? Sie verwehen, um den neuen Lauten Platz zu geben, der Aufmerksamkeit eine Chance gegen den Beton des Museums Erinnerung. Im Alter: wir müssen das Paradies verlassen, hinaus in die Realität...
In Kinderbildern ist die Hoffnung noch ganz nah dem Gefühl. Vertrauen heißt das Wort. Wen berührt es nicht, wenn jemand sein Herz öffnet? Wer kann kalt bleiben, wenn es ein Kind ist? Später kommt die Kunst: das Kind unter dem Können verbergen. Und die Hoffnung versteckt sich hinter dem Aquarell einer Sehnsucht.
Da war Liebe. Da ist sich schützende Liebe. Frühling unter Plexiglas. Ich vernichte die Zeugnisse der ersten Tage. Denn nun ist ein neuer Tag mit Anspruch auf Aufmerksamkeit. Auch für ihn kommt die Zeit der Erinnerung. Sie macht den Unfug nicht mit. Ihre Keller quellen über.
Ich muss sagen: es gibt Kinderzeichnungen, die mir mehr von der Welt und Gott zeigen, als manche hinter Gedanken verborgenen Zeichnungen eines Picasso, Monet, Richter oder Lo Sin. Das mag durchaus an mir liegen. Ich muss nicht mehr Recht behalten. Der Aufwand, dem Wunder nachzuspüren, ist groß genug.
Überhaupt das Wunder: Während der freundliche Herr X die Reifen an meinem Auto wechselt, sehe ich den Flomborner Stich hoch. Regenfäden aus schweren Wolken. In der Zeit meiner Beschäftigung bekam ich bei solchem Wetter regelmäßig depressive Stimmungen. Seltsamer Weise fühle ich mich seit meiner Pensionierung mehr den Menschen zugehörig als damals. Mühseligkeit, Verluste, Vergeblichkeit. Das mag manche zu Menschenfeinden werden lassen. Mich befreundet es scheinbar eher.
So verliert sich mein Hass auf den Rheinhessen-Wow täglich mehr. Vielleicht auch weil es lustig flopt.
Nun der Regen: ich weiß nicht, was mir dennoch gefällt. Was mir früher nicht einging: jetzt freut es mich für die Blumen auf dem Felde, für die Kinder, die in Gummistiefeln Neues entdecken, die Alten, die nun von Sehnsucht nach einem Wort erfüllt zusammen rücken. Dieser Tag ist ein Geschenk.
Man hat nicht immer Freude an jedem Geschenk.
Aber wie schön, dem Leben zuzuschauen, wie es durch den Regen fährt.
6.4.16
Das Internet ermögliche neue Formen der Zerstörung von Politik durch Lüge. List (Lüge, Lautstärke, Absprache, Propaganda, Ideologie) und Gewalt (Drohung, Terror, Folter) gehen gut auch ohne Twitter und die Mutter der Bomben. Neu ist nicht das Problem. Wo gelogen wird, kann auch geklärt werden. Neu ist nach Jahren die Verschiebung der Aufmerksamkeit wieder von den Lügen auf das Lügen. Ein Anfang.
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